Die Brücke, die der Chefredakteur den Parteien als Einladung für ihre Werbung im MT baute

von | 13. Sep 2020

Strategieberater Edgar Wilkening

Autor Edgar Wilkening. Hat für Medienhäuser wie Axel Springer, Gruner + Jahr und deren publizistische Flaggschiffe gearbeitet. Kennt das Geschäft, Botschaften der Chefredakteure für die Anzeigen-Akquisition bei Mediaagenturen und Werbetreibenden zu nutzen, aus dem Effeff.

Um Tageszeitungen steht’s nicht zum Besten. Die Spatzen twittern es von den Dächern der Verlagshäuser: die Auflagen im Sinkflug, die Leser zunehmend im Internet, das Anzeigengeschäft auch.

Angesichts dieser Lage bemerkenswert, wie prall gefüllt voller Anzeigen die Samstagsausgabe des Mindener Tageblatt vom 12. September 2020 an Kioske und Abonnenten ging.

Schöne Sache fürs Verlagshaus! Aber wie kam es zu dieser ungewohnten Situation?

Ein Empfehlungsschreiben von MT-Chefredakteur Benjamin Piel dürfte da seine wohltuende Wirkung entfaltet haben.

Denn bei denen, die die genannte Ausgabe so prall mit Anzeigen ausstatteten, handelt es sich vor allem um Parteien.

Am heutigen 13. September ist Kommunalwahl in NRW. Und Chefredakteur Benjamin Piel hatte in seiner „Post von Piel“ am 27. August 2020, also zweieinhalb Wochen vor der Wahl, kaum verklausuliert auf das parteienfreundliche Umfeld hingewiesen, das er und seine Redaktion anzubieten bereit sind.

„Wollen wir auf dem Niveau miteinander umgehen?“, hatte Piel gefragt, nachdem er zuvor die parteifreie Mindener Kandidatin Astrid Engel harsch angegangen war wegen ihrer deutlich kritischen Haltung zu Parteien und deren Klüngelpolitik.

„Wollen wir uns pauschal zu Losern erklären?“, hatte Piel nachgesetzt, auf dass ein jeder in den Parteiverbänden von Stadt und Land seine Worte vernehme. „Wollen wir den politischen Gegner als beschränkt oder wahlweise machtbesessen darstellen?“

Praktischerweise schwang die insinuierte Antwort in den Fragen des Chefredakteurs gleich mit.

„Nein, nein, und nochmal nein – wollen wir alles nicht!“, sollte der geneigte Leser rufen. Mindestens aber denken.

Das Wirken der parteifreien Kandidatin Astrid Engel wurde von Piel als unethisch bewertet, sogar als „Abbruch des Anständigen“ bezeichnet.

Doch der Chefredakteur hatte auch gute Nachrichten. Denn „es gibt eine Kritik, die deutlich in der Sache und trotzdem respektvoll gegenüber Menschen ist“, versprach er in seinem Text.

Und verriet dem geneigten Leser freundlicherweise auch, wo all das zu finden sei – nämlich im „Handeln von Journalisten“. Womit er natürlich vorzugsweise sich selbst und seine Redaktion meinte.

So wird die moralisch-ethische Empörung über die parteifreie Kandidatin unversehens zum wirtschaftlichen Manöver.

Denn implizit sagt der Herr Chefredakteur: Schaut her, wir gehen anders um mit Parteien – anders als diese gemeine, gemeine parteifreie Kandidatin. Wir sind viel netter und freundlicher zu Euch. Vielleicht piesacken wir auch wir mal ein bisschen – das gehört nun mal zu unserem Ruf als Journalisten. Aber keine Sorge: Unser Piesacken tut niemals wirklich weh und ist auch niemals grundlegender Natur.

Im Mediageschäft nennt man so etwas: „ein kundenfreundliches redaktionelles Umfeld schaffen“.

Sozusagen eine Empfehlung für die Platzierung von Parteienwerbung. So wie Autoanzeigen in einem autofreundlichen Umfeld am besten zur Geltung kommen und Computeranzeigen in einem computerfreundlichen Umfeld.

Cleverer Schachzug von Piel.

Denn er weiß natürlich: Die parteifreie Kandidatin Astrid Engel hat keine Parteizentrale in Berlin, die ihr Zehntausende für Wahlkampfwerbung überweist.

Dass die parteifreie Kandidatin als Anzeigenkundin und Unterstützerin des monatlichen Gehaltsschecks für den Chefredakteur ausfällt, weiß er.

Und natürlich weiß er ebenfalls, dass diejenigen, die mitlesen in den Parteiverbänden von Stadt und Land und seine freundliche Botschaft vernehmen, die Taschen voller Geld haben.

Viel Geld, zugesteckt aus den Zentralen in Düsseldorf oder Berlin, mit dem die altmodischen Parteioberen vor der Wahl kaum Klügeres anzufangen wissen, als es in bunte Zeitungsanzeigen zu investieren.

So wird Piels Kritik an der parteifreien Kandidatin zur Brücke, die der Chefredakteur seiner Anzeigenabteilung baut, um mit einem freundlichen redaktionellen Umfeld für Anzeigenschaltungen bei den Parteien buhlen zu können.

Und das hat sich offenbar gelohnt.

Schon die Freitagsausgabe des Mindener Tageblatt vom 11. September 2020 glänzte mit einer halbseitigen Umschlagwerbung für eine der Parteien.

Diese Anzeige war so wichtig, dass der Chefredakteur am Folgetag ausdrücklich „zurückblätterte“ und die Leser nochmal auf die Anzeige vom Vortag hinwies.

Chapeau – so geht „kundenfreundliches redaktionelles Umfeld“ vorbildlich.

Und dann besagte Samstagsausgabe vom 12. September 2020, direkt vor der Wahl. Seit den Tagen der legendären Sommer- und Winterschlussverkäufe war wohl lange kein MT mehr so proppenvoll mit Anzeigen.

Allein auf den ersten zehn Seiten insgesamt sage und schreibe zwölf Anzeigen, viele davon großformatig – und lediglich drei dieser zwölf Anzeigen stammen nicht von Parteien.

Eine als Journalismus getarnte Werbebriefchen-„Post von Piel“ an die letzten Verbliebenen, die desorientiert genug sind, noch an die Wirkung von Anzeigen in Zeitungen zu glauben.

Das muss man neidlos anerkennen: Der Einsatz des Chefredakteurs hat sich ausgezahlt. Seine parteienfreundliche Botschaft wurde offenbar gehört. Und angemessen honoriert. Schönes Geschäft für alle.

Diese Art Journalismus allerdings, die Schwache demütigen muss, um sich bei Geldsäcken und Mächtigen anzubiedern, kostet nebenbei den letzten Rest Glaubwürdigkeit.

Seriöse Zeitungsmarken tun gut daran, von dieser Art Journalismus und ihren Protagonisten Abstand zu nehmen.


Sie erreichen Autor Edgar Wilkening per E-Mail an ew@minden-waehlt.de.